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Rezension

„Islam ist Barmherzigkeit – Grundzüge einer modernen Religion“

von Mouhanad Khorchide, Herder Verlag, 2012, 220 Seiten - 18,99 €


Ein wichtiges Buch zum tieferen Verständnis des Islam. Es sollte heute allen Moslems, Christen und Atheisten dringend ans Herz gelegt werden. Es zeichnet das Bild von einem friedliebenden und toleranten Islam, dessen wichtigste Botschaft die Barmherzigkeit ist. Das ist das Attribut, mit dem Gott im Koran am häufigsten in Verbindung gebracht wird. Wie Khorchide belegen und erläutern kann – nicht zufällig. Gott wird im Koran als der „Allerbarmer“ dargestellt, dessen Wunsch an den Menschen ist, sich seiner Barmherzigkeit anzuschließen, zu einem toleranten, vergebenden Gläubigen zu werden, der Gott in allen Menschen dient. Dieser Transformationsprozess ist es, der den Menschen in die Vollkommenheit führt und der die zentrale Intention der koranischen Botschaft ist.

Durch sein barmherziges Handeln bezeugt der Mensch die Barmherzigkeit Gottes und lässt sie Wirklichkeit werden. Er verkündet durch eine unterschiedslos allen Menschen zugewandte Barmherzigkeit die universale Barmherzigkeit Gottes. Der Mensch ist zum barmherzigen Handeln hier und jetzt aufgefordert; sein Handeln ist eine notwendige Antwort auf die erfahrene Barmherzigkeit Gottes. Eine Verweigerung der Barmherzigkeit gegenüber anderen ist ein Selbstausschluss aus Gottes Barmherzigkeit, ein Nein zu Gottes Barmherzigkeit. Die Liebe des Menschen zu Gott muss sich in der tätigen Barmherzigkeit in der Gesellschaft ausdrücken. Diese Berufung zur zwischenmenschlichen Barmherzigkeit stellt den Kern des islamischen Ethos dar.

(Seite 112)  

Khorchide beschreibt in der Einführung seinen eigenen Hintergrund, der ihm geholfen hat, zu dieser Haltung zu finden. Aufgewachsen zunächst im liberalen Libanon, wo er eine tiefe Religiosität erlebte, die mit großer religiöser Toleranz gepaart war. Sein Vater, obwohl aus einem islamischen Elternhaus stammend, ist in eine christliche Schule gegangen, weil die Qualität der Schule und nicht das Gebetbuch für die Auswahl der Schule maßgeblich war. Zu dieser Zeit konnten auch Schiiten und Sunniten miteinander heiraten. Selber erlebte Khorchide noch in seiner Kindheit das friedliche Miteinander der verschiedenen Religionen und islamischen Schulen. Als sein Vater mit der Familie nach Saudi-Arabien ging, erlebte Khorchide das genaue Gegenteil – eine durch religiösen Dogmatismus unterdrückte Gesellschaft. Durch sein Elternhaus geprägt hat er sich aber die liberale Auffassung erhalten.

Heute wird ihm sein Anspruch von manchen Moslems vorgeworfen, einen modernen Islam zu entwerfen. Viele Moslems denken so, man brauche keine „moderne Religion“, sondern man wolle sich an dem "wahren" zeitlosen Islam halten. Doch hier liegt ein Missverständnis vor, das Khorchide leider mit dem Untertitel selber unterstützt. Ihm geht es gar nicht um die Erschaffung einer modernen Religion, sondern darum, die ursprüngliche Botschaft des Koran herauszuarbeiten. Khorchide befreit diese ursprüngliche Botschaft nicht nur von den modernen Fehlinterpretationen, sondern auch von den restriktiven dogmatischen Auslegungen fanatischer Schriftgelehrter früherer Jahrhunderte, auf die sich im islamischen Milieu leider noch immer berufen wird.

Die Aussagen, zu denen Khorchide dabei gelangt, sind grandios und beschreiben nicht nur das von Gott gemeinte Verhältnis des Moslems zum Islam, sondern allgemein das Verhältnis des Gläubigen zu Gott und seiner Religion. Nicht nur wegen des tieferen Verständnisses des Islam ist dieses Buch also auch für Nicht-Moslems interessant, sondern auch wegen dieses allgemeingültigen Beschreibens der Eigenschaften Gottes und des Weges des Menschen, das allen großen religiösen Büchern zu eigen ist. Hierbei zeigt er auch mehrfach Parallelen zur Botschaft der Bergpredigt bzw. zum Christentum auf.

Z.B. stellt er klar, dass das Verhältnis des Gläubigen zu schriftlicher Überlieferung nicht in einem stupiden Buchstabenglauben bestehen darf, der die Vernunft ausschließt. Khorchide fragt, was das denn für ein Gott sein solle, der uns die Vernunft gibt, um uns dann Glaubenssätze und Verhaltensvorschriften zu geben, die jeder Vernunft widersprechen. Man müsse die Botschaften des Korans in ihrem historischen Bezug deuten, um die wahre Intention dahinter herauszuarbeiten – eine Aussage, dieses tiefgründigen Buches, die sich die Bibel-Exegeten ebenso zu Herzen nehmen sollten!

Diese Haltung für ein von der Vernunft geprägtes Schriftenstudium führt jedoch nicht zu einem eindimensionalen Religionsverständnis. Khorchide stellt klar, der Sinn der Religion könne es nicht sein, nur einen ethischen Verhaltenskodex aufzustellen. Das könne die Vernunft auch, die Religion aber müsse etwas bieten, das über die Vernunft hinausgehe, sonst brauche man sie nicht. Dieses „Mehr“ sei die Herzensbeziehung des Menschen zu Gott. Dieser Hinweis richtet sich vor allem an die Religionslehrer, die die Menschen mit dezidierten unsinnigen Verhaltensvorschriften quälen, deren Nichtbeachtung sehr schnell drakonische Höllenstrafen nach sich ziehen würde. Khorchide erkennt in dieser Form der Religionsauslegung kein Weg zur Heilung und Transformation des Menschen, sondern lediglich ein probates Machtinstrument. Mit diesen Aussagen zielt er auf die Sorte religiöser Führer, der er in seiner saudisch-arabisch-islamischen Erziehung begegnet ist, doch sie lassen sich ohne weiteres auf ein konfessionell-kirchlich geprägtes Christentum übertragen.

Erhellend und allgemeingültig sind auch die Aufklärungen darüber, dass sich eine ewige Hölle mit einem barmherzigen Gott nicht vereinbaren lässt, oder dass es sich nur um ein Missverständnis handeln kann, wenn man sich vom nachtodlichen Paradies materielle Belohnungen verspricht.

An seine Grenzen gelangt Khorchide offenbar, wo er es versucht, den strafenden Gott mit seiner Auffassung von Gottes Barmherzigkeit zu vereinbaren. Er versucht da etwas mit der unterstellten pädagogischen Absicht Gottes hinzubiegen, die er mit seinen angeblichen „Strafen“ verbinde, aber so richtig zu überzeugen vermag er damit nicht. Dabei lassen sich die Phänomene der Krankheiten, Naturkatastrophen und anderer Schicksalsschläge so einfach erklären, wenn wir das Gesetz von Ursache und Wirkung – auch Karma-Gesetz genannt – mit einbeziehen. Auch erklärt es Khorchide nicht, weshalb denn Gott ein mitteilsamer Gott sein soll, der durch seine Offenbarungen den Menschen die Hand reicht – weshalb er aber damit nach dem Erscheinen Mohammeds in der Weltgeschichte aufgehört haben soll. Die Existenz authentischer Neu-Offenbarungen wäre eigentlich die logische Konsequenz seiner Aussagen (zumal ja der Koran nach seinen Aussagen heute nur noch richtig gedeutet werden kann, wenn man den historischen Kontext betrachtet – also kurz gesagt, veraltet ist). Hier zeigt sich leider, dass der seriöse Anspruch der theologischen Wissenschaft zu Scheuklappen führt, die zwar der Anerkennung innerhalb dieser Zunft dienen, nicht jedoch der unbegrenzten tabulosen Wahrheitsfindung.

Dennoch und gerade deshalb ist dieses Buch in der heutigen Zeit hochwichtig. Denn die Autorität des Autors bezüglich einer fundierten Auslegung des Korans ist unbestreitbar und mit vernünftigen Argumenten eigentlich nicht anfechtbar. Hierdurch erhalten seine erhellenden Aussagen zur wahren, ursprünglichen Botschaft des Korans die enorme Relevanz.

Das ist erhellend auch für mich persönlich. Die Aussagen eines Islam-Kritikers haben mich sehr verunsichert, der sagte, die feindselige Haltung der Attentäter und Dschihadisten gegenüber den Nicht-Moslems seien keine Ausrutscher, sondern seien nur die Konsequenzen aus der islamischen Lehre. Daher könne nicht Bildung die Lösung des Problems sein, da ein noch tieferes Eindringen in die islamische Lehre nur zu noch extremeren feindseligen Positionen führen könne. Deshalb seien solche Leute wie Bin Laden und andere Hetzprediger auch oft hochgebildete Akademiker, die oft nicht nur eine Islam-Schule, sondern auch westliche Universitäten besucht haben. Dieses Buch beweist für mich das Gegenteil: Bildung ist doch die Lösung. Denn der Ursprung aller Religionen, zu dem wir durch ein gründliches Quellenstudium gelangen können, ist Einer: der barmherzige Schöpfergott. Da ich der Überzeugung bin, dass ein wahres christliches Religionsverständnis den Islam nicht ausschließt, sondern mit einschließt (weil es über ihn hinausgeht), bekenne ich daher: Im Sinne der Auslegung Khorchides bin auch ich ein Moslem. Ich bin ein Christ, aber gleichzeitig ein Moslem.

Tausend Dank für dieses Buch, da es mein Verständnis des Islam auf die richtige Basis gestellt hat!  



>Ich wollte leben...